Der Rezensent und „Die Lebenslüge“

Am 28.5.2010 veröffentlichte Jens Eumann in der Freien Presse die Rezension „Die Lebenslüge vom Engel mit dem Totenkopf am Kragen“, in der er wesentliche Aussagen meines Buches „Der Warschauer Ghettokönig“ (Dingsda-Verlag Leipzig) verfälscht.

So suggeriert Eumann den Lesern, dass mein Buch über den ehemaligen Sozialdemokraten und SS-Offizier Franz Konrad, der als „Warschauer Ghettokönig“ bezeichnet wurde, an die Geschichte des NSDAP-Manns Oskar Schindler anknüpfen würde.

Richtig ist, dass ich von meiner Suche nach der Vergangenheit des Klägers Erich Steidtmann erzähle, der mich am 4.1.2007 bei der Berliner Staatsanwaltschaft wegen Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte, „des Verdachts der Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung durch Verbreitung in Buchform“ angezeigt hatte und ab März 2007 beim Landgericht in Leipzig versuchte, die von mir verlegte Autobiografie „Ein ganz gewöhnliches Leben“ von Lisl Urban zivilrechtlich verbieten zu lassen und Schmerzensgeld einzuklagen. Während dieses Prozesses fand ich heraus, dass der Kläger Steidtmann als ehemaliger SS-Hauptsturmführer vom 19. April bis zum 16. Mai 1943 führend an der Liquidierung des Warschauer Ghettos beteiligt war. Im November 2007 informierte ich darüber das Wiesenthal-Zentrum. Meine Forschungsergebnisse trugen u.a. dazu bei, dass heute die Staatsanwaltschaft Hannover gegen Erich Steidtmann ermittelt und er vom Wiesenthal-Zentrum auf die Liste der weltweit zehn meistgesuchten Nazi- und Kriegsverbrecher gesetzt wurde. (vgl. Die Jüdische vom 22.4.2010)

Eumann hat diesen wichtigen Teil des Buches bewusst ausgeblendet und den Vergleich mit Schindler so präsentiert, mir unterstellen zu können, dass ich Konrads Schuld nicht benennen würde, um eine „Lebenslüge vom Engel mit dem Totenkopf am Kragen“ zu veröffentlichen und den Leser „nicht mit einer Antwort“ entlasse.

Diese Darstellung ist falsch. Meine Antworten sind eindeutig.

Sie sind auf den Seiten 62 und 108 im „Warschauer Ghettokönig“ nachlesbar. Sie lauten: „SS-Obersturmführer Konrad, der ‚Ghettokönig‘, war am Ende mit seinem Versuch, in einer unmenschlichen Zeit menschlich zu bleiben, gescheitert.“ und „Franz Konrad büßte seine Schuld mit dem Leben.“ Selbst Konrads Aussagen: „Ich wusste, dass dieses Hab und Gut, das sie hinterlassen haben, mit Blut und Tränen bezahlt ist. Ich war mir darüber im Klaren.“ (S. 80f.) und „Ich werde alle Konsequenzen tragen. Ich war darauf vorbereitet, dass ich mich eines Tages verantworten muss.“ (S. 88) lässt Eumann unter den Tisch fallen.

Der „Konrad-Bericht“, den ich nach 63 Jahren erstmals der Öffentlichkeit zugänglich mache, ist eine bedeutende historische Quelle, die aus der Sicht des Täters authentisch die Liquidierung des Warschauer Ghettos beschreibt. Es steht also nicht die mir von Eumann unterstellte Frage, ob „es selbst bei den berüchtigten Totenkopf-Verbänden der Waffen-SS mitfühlende Menschen, die Juden vorm Schlimmsten bewahren wollten, gab“ im Raum, sondern die Frage, die bereits im Klappentext des Buches nachlesbar ist. Sie heißt: “ Das Buch … wirft die Frage auf, warum die Aussage Franz Konrads über die Liquidierung des Warschauer Ghettos, gemacht in amerikanischer Gefangenschaft, bisher nicht veröffentlicht wurde.“

Eumann scheut sogar nicht davor zurück, mir Bezeichnungen in den Mund zu legen, die nachweislich nicht von mir stammen.

So zitiert mich der Rezensent bewusst falsch, denn das Wort „Austro-Engel“ stammt nicht von mir, sondern von Wolf Biermann, den ich in einer Anmerkung zitierte. Das Zitat lautet: „Es mag den Leser interessieren, dass Wladyslaw Szpilman sich damals gezwungen sah, für die polnische Ausgabe seinen Retter Wilm Hosenfeld in einen Österreicher umzulügen. Ein Austro-Engel war offenbar ’nicht ganz so schlimm‘.“

Auch Eumanns Satz „Ohne Belege zu haben, reimt sich der Autor zusammen, Konrad könne einen jüdischen Pianisten gerettet haben …“ ist falsch.

Ich reime mir nämlich nichts zusammen, sondern ich stelle die Frage, wobei ich den Pianisten im Gegensatz zu Eumann mit seinem Namen nenne: „Gehörte Franz Konrad neben Wilm Hosenfeld zu den Rettern Szpilmans, denen er sein ‚wunderbares Überleben‘ zu verdanken hatte?“

Bevor ich im Buch diese Frage stelle, führe ich den Nachweis, dass Szpilman mit höchster Wahrscheinlichkeit bei Franz Konrad in der Werterfassungsstelle als Lagerverwalter gearbeitet haben muss, weil er in seiner Autobiografie überlieferte, dass am 13. Februar 1943 ein SS-General sein Lager besichtigt hatte.

Der ranghöchste Warschauer SS-Offizier war damals der SS-und Polizeiführer Ferdinand von Sammern-Frankenegg, der zu dieser Zeit den Polizei-Dienstgrad eines Obersten führte.

Er arbeitete eng mit dem Generalleutnant der Polizei und SS-Gruppenführer Odilo Globocnik zusammen, den man am 18.2.1943 nachweislich als Geschäftsführer der neu gegründeten Osti-Betriebe der SS, die auch die Lager und Betriebe der Werterfassungsstelle im Warschauer Ghetto aufzunehmen hatten, bestellte.

Sammern-Frankenegg schrieb ebenfalls nachweislich am 2.2.1943 an Heinrich Himmler: „SS-Gruppenführer Globocnik hat sich wegen Übernahme dieser Betriebe bereits eingeschaltet.“ Szpilmans Überlieferung, dass am 13.2.1943 ein SS-General sein Lager inspizierte, bedeutet, dass seine Behauptung, dass er im Ghetto ein Lager der jüdischen Gemeinde geführt hätte, nicht stimmen kann, denn solche Lager sollten nicht in die SS-Osti-Betriebe übernommen werden. Diese Lager besuchte kein SS-General. Diese Lager sollten wie die Mehrzahl der Juden liquidiert werden.

Meine Erkenntnis ändert nichts daran, dass der weltberühmte Pianist, dessen Leben eindrucksvoll verfilmt wurde, ein Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen war.

Joachim Jahns

Nachtrag:

Der stellvertretende Chefredakteur Udo Lindner, der mein Buch nicht gelesen hat, räumte mir nicht die Möglichkeit ein, mit meiner Meinung in der Freien Presse zu Wort zu kommen. Er schrieb mir, dass Herr Eumann „einer unser profiliertesten Autoren“ ist und „journalistisch sauber“ gearbeitet hätte.